Allein schon die Tatsache, dass ich einmal zu einem Lauf nach Serbien fliegen würde, verwunderte den einen oder anderen in meinem Bekanntenkreis im Vorfeld schon ein wenig. Trotzdem konnte ich meinen besten Freund gewinnen, mich auf dieses Abenteuer zu begleiten. Zugegeben, viel weiß man nicht über Serbien. Vielleicht gerade noch soviel, dass vor gar nicht allzu langer Zeit ein heftiger Bürgerkrieg in den Ländern des Balkan tobte und Belgrad durch die Nato unter Feuer genommen wurde. Serbien liegt eben ein wenig abseits des üblichen Betrachtungswinkels. Aber genau das, macht es wiederrum sehr spannend.
Mit Air Serbia ging es freitags von Düsseldorf nach Belgrad. Am Gate sahen wir, dass eine Boeing 737 der Aviolet, einer Tochter der Air Serbia, eingesetzt wurde. Knapp 32 Jahre hatte dieses Schätzchen auf dem Buckel. Ich kann nicht verleugnen, dass mich das Alter der Maschine zwar nicht gerade beunruhigte, aber auch nicht ganz gedankenlos den Flug genießen lies. Im Endeffekt kamen wir pünktlich und sehr gut geflogen in Belgrad an.
Vom Flughafen ging es mit dem Shuttle-Bus, einem 12-Sitzer Kleinbus, ins Stadtzentrum. Leider mussten wir stehen, da das Kapazitätsmaximum an Fahrgästen aus dem Bus herausgeholt wurde. Nach 20 Minuten erreichten wir den Trq Slavija, einen chaotischen Kreisverkehr mit 7 Aus- und Einfallstraßen, inklusive Bus- und Straßenbahnlinien. Hier scheinen alle Genies zu sein, immerhin beherrschten alle das Chaos perfekt.
800 Meter laufen und wir erreichten unser Appartement, das King Alexander Appartement, welches wir über Booking.com im Vorfeld gemietet hatten.
Am Nachmittag und am Samstag stand Sightseeing auf dem Programm. Ich fand es etwas komisch, dass die Startnummernausgabe am Samstag geschlossen war, obwohl der Lauf erst am Sonntag stattfinden sollte? Denkste, Samstag war der Lauf. Also Freitagnachmittag noch Startnummern abgeholt. Man, da war ich aber auch schon mal besser vorbereitet.
Am nächsten Morgen gab es wieder das obligatorische Läuferfrühstück. Müsliriegel, Bananen und Wasser. Alles wohl dosiert, so dass bei dem Lauf selbst nichts schief gehen konnte. Am Nikola-Pasic-Platz befand sich die Gepäckaufbewahrung. Ich hatte nichts abzugeben, da ich alles in der Wohnung gelassen hatte. Weiter ging es also zum Startbereich. Links lag das Parlament, davor gespickt mit politischen Spruchbändern zu Kosovo, der Nato-Bombardierung Belgrads und weiterer Themen. Die Bilder dazu sahen schon martialisch aus. Was die Texte hergeben, blieb für mich aufgrund der kyrillischen Schrift ein Rätsel, eher freundlich war es sicher nicht.
Der Startbereich befand sich nur 500 Meter von unserer Wohnung entfernt auf der Bulevar kralja Alexandra. Hier ordnete ich mich im Bereich 1:45 Stunden ein, allerdings ganz weit hinten. Das heere Ziel, die 1:47 Stunden aus Marseille zu knacken, hatte ich zwar angestrebt und gewollt, aber es war vor dem Start schon klar, dass dies nichts werden würde. Die Sonne gab alles und die Temperaturen lagen schon vor dem Start bei gefühlt 21 Grad.
Kurz vor 10 Uhr wurde noch die serbische Nationalhymne gespielt. Das es sich um diese handeln musste, erahnte ich nur durch den Jubel des Teilnehmerfeldes. Verstanden hatte ich rein gar nichts, da die Lautsprecher einen Wackelkontakt hatten. Punkt 10 Uhr trötete dann ein Signalhorn und der Lauf nahm entspannt Fahrt auf.
Sehr diszipliniert liefen wir alle los. Kein Gerempel, Geschubse oder Gedränge. Rund 400 Meter ging es nun die Bulevar kralja Alexandra entlang, bevor wir nach rechts in die Beogradska abbogen. Immer begleitet von Straßenbahnschienen. Es ging nun ordentlich bergab. Vollgas war hier aber eher zu vermeiden, denn wer osteuropäische Straßen mit Gleisbett kennt, der weiß, dass man da unter Umständen flexibel reagieren muss. Also weiter ganz gemächlich vorwärts zum Trq Slavija. Eine Hälfte des Kreisverkehrs war für uns gesperrt, so dass wir nicht Teil des Verkehrschaos wurden und sehr geordnet in die Nemanjina abbiegen konnten, die uns Richtung des alten Belgrader Hauptbahnhofs führte.
Die Straße führte uns durch die Häuserschluchten der diversen Ministerien. Einen Eindruck aus dem Bürgerkrieg erhielten wir dann in Höhe des Generalstabs, der durch die Nato gezielt angegriffen wurde. Wesentliche Gebäudeteile stehen heute noch, so wie damals beschädigt und hinterlassen. Mehr oder weniger werden sie heute als Mahnmal betrachtet. Kurz vor dem Bahnhof, nach exakt 2 Kilometern Wegstrecke, bogen wir nach rechts ab und durchliefen die Gavrila Principa, die nach dem Attentäter auf den Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand benannt ist. Hier folgte ein giftiger Anstieg und wir erreichen die Brücke Brankova most, die uns über die Save führte.
Von hier oben hatten wir einen schönen Blick Richtung der Festung Kalemegdan und der Altstadt von Belgrad, bevor wir nach 4 Kilometern Wegstrecke Novi Beograd, also Neu-Belgrad erreichten. Zwischendurch hatte das Läuferfeld noch soviel Elan, dass sich alle paar Minuten eine Laola-Welle durch die Menge bewegte. Ein grandioses und vor allem sehr lautes Spektakel.
Neu-Belgrad versprüht den Charme der sozialistischen Raumordnung. Das Hauptmerkmal von Neu-Belgrad ist seine ebene Fläche, nur 80 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, seine Plattenbauten in Form von riesigen Wohnblöcken und breiten Straßen in Form einer Reißbrettplanung. Der totale Kontrast zu Alt-Belgrad. Hier heißen die einzelnen Häuser dann auch nur noch Block 1, Block 2, und so weiter.
Hinter der Brücke biegen wir direkt nach rechts ab und halten uns in direkter Nähe zur Save, die rechts von uns liegt, wir aber nicht sehen. Hier liegt auch das im Stil der 60er-Jahre errichtete Hotel Jugoslavija, welches während der Nato-Angriffe auf Belgrad ebenfalls von Raketen getroffen wurde. Heute ist davon nichts mehr zu sehen und die Schäden sind längst behoben. Berühmte Gäste, wie Richard Nixon, Jimmy Carter, Queen Elizabeth II oder auch Willy Brandt sollen hier schon genächtigt haben. Ich mache nur einen kurzen Fotostopp, verschnaufe kurz und dann geht es auch schon weiter.
Wir liefen nun auf den breiten Straßen von Neu-Belgrad und mussten feststellen, dass keinerlei Schatten zu erwarten ist und dass die Getränkepausen immer ausgedehnter wahrgenommen werden müssen. Bäume waren zu meist Fehlanzeige oder so klein, dass sie keinen Schatten warfen. Wasser wurde nun nicht nur getrunken, sondern über alles gekippt, was gekühlt werden musste. Ob das Arme, Beine, der Kopf oder Körper war – egal. Hauptsache nass, so dass der Wind Kühlung versprach. Jetzt fanden sich auch alle paar Kilometer Tankwagen, die uns mit ihren Schläuchen Wasserduschen bereitstellten. Eine echte Wohltat bei der Hitze, nur für meine Brille hätte ich Scheibenwischer gebraucht.
Nach 12 Kilometern Wegstrecke bogen wir auf den Zubringer zur Savebrücke ein, die die Halbinsel Ada Ciganlija überspannt. Die nächsten vier Kilometer wurde diese gigantische, 996 Meter lange Schrägseilbrücke mit ihrem 200 Meter hohen Pylon bildbestimmend sein. Auf der Europastraße 75 floss heute kein Verkehr, da wir uns nun breit machten, die Belgrader Philharmoniker in Orchesterkleidung in der Mitte der Brücke aufgespielt hatten und Nenad seiner Freundin mitten auf der Brücke einen Heiratsantrag machte. So wie es aussah, hat sie ihn wohl angenommen. Die Brücke hat es wohl in sich – ein echt skurriles Bild. Wir liefen hin und zurück und konnten so den Blick auf die Save und Neu-Belgrad genießen. Fotostopps wurden gerne wahrgenommen, schon allein, um Luft zu holen.
Nach einem kurzen Ausflug auf die Savebrücke, erreichen wir mit Kilometer 16 wieder Neu-Belgrad. Auf direktem Weg ging es nun wieder Richtung Altstadt. Bei Kilometer 18,5 teilt sich das Läuferfeld. Die Marathonis bogen nach links ab und rannten vermutlich die Runde durch Neu-Belgrad noch einmal. Wir hingegen liefen weiter geradeaus auf die Brankov most, die uns zurück nach Belgrad führte.
Ich nutzte wieder die immer größer werdenden Verpflegungsstände. Diesmal gab es Bananen, Zucker, Wasser und isotonische Getränke. Top organisiert, standen die einzelnen Tische so weit auseinander, dass man alles der Reihe nach auch verzehren konnte, bis der nächste Tisch kam.
Hinter der Brankov most begann dann der Schlussakt in diesem Stück, der es aber noch einmal ordentlich in sich hatte. Schön langsam ansteigend durchliefen wir die Kralijice Natalije und kamen so Meter für Meter voran. Dann hieß es links abbiegen. Ich schnippelte ein wenig über den Bürgersteig und musste plötzlich abrupt abbremsen. Zum einen schien Stau zu herrschen, zum anderen ging es äußerst übel bergan. Ok, es war kein Stau, es war nur die Kraftlosigkeit, die uns alle die nächsten Meter bergan nicht laufend, sondern wandernd vorankommen lies. Dann erreichten wir die Kralja Milana und damit das Tor zum Ziel.
Ich gab noch mal Gas und lief, den Schatten ausnutzend, die letzten 800 Meter Vollgas ins Ziel. Mit 1:57:38 Stunden überquerte ich die Ziellinie. Mit diesem Ergebnis erreichte ich unter den 5.121 Finishern Gesamtplatz 936 und bei den männlichen Finishern Platz 831 (3.493). In meiner Altersklasse erreichte ich bei 831 Finishern Platz 97. Damit war ich erstaunlich gut platziert. Mehr war bei der Hitze aber auch definitiv nicht rauszuschlagen.
Im Ziel gab es dann eine Verpflegungstüte, den obligatorischen Halsbeschwerer aus Metall (I like it) und nen ganzen Tankwagen voll Wasser. Dass hier erst einmal ordentlich „geduscht“ wurde, verstand sich von selbst.
Neben dem eigentlichen Marathon und dem Halbmarathon gab es noch einen Staffel-Marathon sowie einen Fun Run über 5 Kilometer. Der Lauf war wirklich top organisiert und es herrschte eine tolle Stimmung. Sowohl in Belgrad als auch im neuen Hochhaus-Stadtteil herrschte an der Strecke durchgängig Partystimmung. Wenn nicht gerade die offiziellen Musikgruppen spielten, dann übernahmen dies die Zuschauer an der Strecke. Alles war sehr entspannt und freundschaftlich.
Auch wenn man sozialistische Plattenbauten vielleicht nicht als schön bezeichnen kann, war die Strecke, auch durch Neu-Belgrad, insgesamt durchaus attraktiv und interessant, da sie eben vielfältig ist. Man sah den Häusern die Geschichte der letzten Jahrzehnte dieses Landes an.
Für Bestzeiten ist der Lauf dann geeignet, wenn man auf den Gefällestrecken kurz nach dem Start und dann im Flachland von Neu-Belgrad ordentlich Meter macht. Die Bergetappe kurz vor dem Ziel haut zeitraubend jedoch schon ordentlich ins Kontor.
Wer sich über den Belgrad Marathon/Halbmarathon informieren will, der kann dies über die Website des Marathons oder auf der Facebook-Präsenz tun.
Mein nächster Stopp wird nun im Juni mal wieder England sein. Bis dahin wünsche ich Euch allzeit gute Läufe!